Claudia Thommen arbeitet da, wo andere Ferien machen. Die Architektin gehört zum Team der Stiftung Ferien im Baudenkmal. Als Fachfrau ist sie für die Begutachtung historischer Häuser viel unterwegs und ständig gefordert.
«Ich habe meinen Traumjob gefunden», sagt Claudia Thommen voller Überzeugung. Jedenfalls hat sie einen Job, um den sie wohl viele ihrer Berufskolleginnen und -kollegen beneiden. Die 46-jährige Architektin arbeitet seit zwei Jahren für die Stiftung Ferien im Baudenkmal. Die Stiftung wurde 2005 vom Schweizer Heimatschutz gegründet; sie bewegt sich an der Schnittstelle zwischen Tourismus und Denkmalpflege.
Vom Bodensee bis ins Tessin
Auf ihrer Online-Plattform präsentiert die Stiftung alle Objekte, rund fünfzig an der Zahl: Da gibt es zum Beispiel eine Wohnung in einem ehemaligen Fischer- und Handwerkerhaus in Romanshorn, das als Zeuge der vorindustriellen Geschichte gilt. Oder ein mittelalterliches Haus in Moghegno im Tessin, das Teil des historischen Dorfkerns ist. Die verfügbaren Häuser und Wohnungen finden sich über die ganze Schweiz verteilt. Zum Portfolio der Stiftung gehören unterschiedlichste Objekte – vom traditionellen, einfachen Bauernhaus über die herrschaftliche Villa und den Palazzo bis zu neuzeitlichen Bauten. Alle können über die Buchungsplattform gemietet werden. Im Fokus stehen Häuser, die gleichzeitig Baudenkmäler sind. Sie müssen nicht unter Schutz stehen, aber die hiesige Baukultur repräsentieren. «Unser Ziel ist es, einen Querschnitt der Schweizer Baukultur zu zeigen und erlebbar zu machen», sagt Thommen.
Viel Erfahrung mit Umbauten
Das Angebot erfreut sich grosser Beliebtheit, die beiden Coronajahre waren Rekordjahre. «Als der Bundesrat dazu aufrief, Ferien in der Schweiz zu verbringen, liefen die Drähte heiss», erzählt die Architektin. Aus eigener Erfahrung weiss sie, dass die Wartezeiten momentan lang sind, vor allem während der offiziellen Schulferien. Im Frühling 2022 buchte sie für sich und ihre Familie ein Haus im Kanton Bern. Der erste passende Termin fand sich erst im Herbst 2023.
Claudia Thommen lebt mit ihrem Mann und ihren drei Buben in einem Einfamilienhaus in Dietikon im Kanton Zürich. Bevor sie zur Stiftung Ferien im Baudenkmal stiess, führte sie ihr eigenes Architekturbüro «In den letzten zwanzig Jahren sammelte ich sehr viel Erfahrung mit alter Bausubstanz und mit Umbauten», sagt sie. Diese Erfahrung komme ihr nun zugute. Zudem absolviert sie den MAS «Umnutzung und Denkmalpflege» an der Fachhochschule Burgdorf. Sie entscheidet zwar nicht allein darüber, ob ein Objekt für die Stiftung in Frage kommt, doch sie recherchiert und spurt vor.
Knackpunkt Finanzierung
Etwa einen Tag pro Woche ist sie in der Schweiz unterwegs und besichtigt Häuser. Das sind manchmal Objekte, welche die Eigentümer der Stiftung vermachen oder verkaufen wollen. Die Stiftung übernimmt, wenn sie vom Projekt überzeugt ist, die sanfte Restaurierung der vom Verfall bedrohten Baudenkmäler – sofern sie vorgängig die Finanzierung sichern kann.
Dafür fragt sie andere Stiftungen an und ist auf Gönner oder kantonale Beiträge angewiesen. «Die Finanzierung setzt uns hin und wieder Grenzen», hält Thommen fest. Auf der Plattform gibt es ausserdem Objekte, die der Stiftung im Baurecht überlassen wurden. Oder aber es sind Häuser im Besitz von Dritten, die ihre Objekte über die Stiftung vermieten. Von den fünfzig Häusern auf der Buchungsplattform sind rund vier Fünftel in fremdem Besitz, ein Fünftel gehört der Stiftung selbst.
Hohe Qualität der Angebote
Wenn Claudia Thommen von ihrem Alltag erzählt, leuchten ihre Augen. «Für mich ist es die perfekte Verbindung von Architektur und Geschichte», sagt sie. «Die Rettung von historischer Baukultur ist eine sinnhafte Arbeit. Erhalt von Bausubstanz ist nachhaltig und identitätsstiftend. Wir möchten die breite Bevölkerung sensibilisieren.» Ihr Büro hat sie in der denkmalgeschützten, wunderschönen Villa Patumbah im Zürcher Seefeld, wo der Schweizer Heimatschutz eingemietet ist. Die Villa aus dem ausgehenden 19. Jahrhundert ist von einem gepflegten Park umgeben.
Hier in der Villa, an ihrem Schreibtisch, prüft sie als Erste die Angebote, die regelmässig auf ihrem Pult landen – und das sind nicht wenige: «Pro Woche erhalte ich etwa zwei Anfragen, und die Qualität ist sehr hoch», erklärt sie. Wichtige Kriterien für die Beurteilung des Potenzials sind unter anderem, ob die Stiftung in einer Region schon sehr viele Objekte anbietet, ob ein Haus mit dem öffentlichen Verkehr erreichbar ist oder ob sich eine Gegend für Ferien überhaupt eignet.
Kleine und grosse Eingriffe
Die Evaluation erfolgt sorgfältig, denn Claudia Thommen weiss aus Erfahrung, dass auch sanfte Restaurierungen ganz schön ins Geld gehen können, wenn Überraschungen auftauchen. Sie betont allerdings, die Stiftung restauriere nur das Nötigste und arbeite eng mit der Denkmalpflege zusammen: «Unser Fokus liegt auf der Erhaltung, nicht auf der Sanierung.» Dass sie nun plötzlich in der Rolle der Bauherrin ist, die Aufträge an Architekten und Handwerker vergibt, gefällt ihr. «Weil ich auch die andere Seite kenne, kann ich präziser kommunizieren», sagt sie. Auch hier komme ihr also ihre Vergangenheit als selbständige Architektin zugute: «Bauerfahrung kann man nur auf der Baustelle sammeln.» Kommt ein Objekt in Frage, bereitet Thommen das Dossier vor, das anschliessend dem Stiftungsrat und dem Bauausschuss unterbreitet wird. Der Bauausschuss ist das Fachgremium, das den Stiftungsrat berät. Wenn beide Gremien zustimmen, folgt eine Machbarkeitsstudie, in der auch die wichtigen finanziellen Fragen geklärt werden. Manchmal gehe es nur um gewisse Instandstellungsmassnahmen, die einige hunderttausend Franken kosteten. Sie erwähnt aber auch einen mittelalterlichen Strickbau, der seit sechzig Jahren leer stehe und bei dem Eingriffe in die tragenden Strukturen nötig seien. Kostenpunkt: Mehr als eine Million Franken.
Wachsender Erfahrungsschatz
Die Basis für diese Arbeit ist Geduld, denn bis ein Objekt fertig instand gestellt ist, kann es gut und gerne ein paar Jahre dauern. Claudia Thommen freut sich darum bereits auf die Eröffnung eines Hauses, das sie selbst zur Aufnahme ins Portfolio der Stiftung vorgeschlagen hat. Bis es so weit ist, baut sie ihr Wissen und ihren Erfahrungsschatz weiter aus: «Meine Recherchen führen mich immer wieder an neue baukulturell einzigartige Objekte heran. Die Vielfalt verblüfft mich immer wieder.»
Stiftung Ferien im Baudenkmal
Text: Rebekka Haefeli, Fotos: Gaëtan Bally
aus: Das Einfamilienhaus, Heft Nr. 6/2022