Ein Dachausbau eröffnet neue Perspektiven: Er schafft neuen Wohnraum und erhöht den Wert einer Liegenschaft. Doch zu allererst muss der baurechtliche Spielraum geklärt werden.
Wer heute in einer Dachwohnung in einem stilvoll renovierten Altbau
lebt, wird von vielen Leuten beneidet. Denn oben im Dach und vielleicht
sogar auf einer hübschen Terrasse gibt es das, was in den unteren
Geschossen Mangelware ist: einen freien Blick übers ganze Quartier, viel
Licht und Luft. Spätestens seit dem Raumplanungsgesetz von 2014 sind
auch die Rahmenbedingungen für solche Umbauprojekte günstig. Denn
weitherum ist der Grundsatz anerkannt, dass bestehende Siedlungen
nachverdichtet werden. Der Ostschweizer Architekt und Vizepräsident der
IG Altbau Philipp Hostettler sagt dazu: «Grundsätzlich begünstigen
die Baugesetze heute den Ausbau von Dachgeschossen.» Im Einzelnen hänge
vieles aber vom Standort und den konkreten Umständen im jeweiligen
Kanton und den Vorschriften für die betreffende Zone ab. «In den meisten
Fällen sind die Behörden aber bestrebt, sowohl die Bauherrschaften als
auch Architekten bei solchen Projekten zu unterstützen», sagt der
Vertreter der IG Altbau.
Wie vorgehen?
Die meisten erfahrenen
Architekten, die schon in verschiedenen Gemeinden und an verschiedenen
Objekten Dachausbauten entworfen und umgesetzt haben, sind sich in einem
Punkt einig: Es gibt keine pauschale Antwort auf die Frage, ob
überhaupt und wie ein Ausbau des Dachs oder allenfalls sogar eine
Aufstockung um ein zusätzliches Geschoss möglich wäre. Das Spektrum ist
gross: Während zum Beispiel ein Dachausbau in einem typischen
Einfamilienhaus der 1970er-Jahre meist relativ einfach umzusetzen ist,
sieht es bei einer 200-jährigen Stadtliegenschaft schon ganz anders aus.
Zunächst kommt es ganz elementar darauf an, in welcher Zone sich die
Liegenschaft befindet.
Ist es eine typische Wohnzone mit zwei- oder dreigeschossigen
Wohnhäusern? Ist es eine Kernzone oder eine Zone mit Ortsbildschutz? Je
nachdem sind dann schon mehrere Prämissen zu beachten. Will der Bauherr
ein Objekt in einer Zone unter dem Titel «Ortsbildschutz» erweitern und
ausbauen, sind die möglichen Dachformen und Gestaltungsmöglichkeiten
wohl vorgegeben. So gilt bei Altbauten in Dorf- und Ortszentren oder
historischen Quartieren öfters der Grundsatz, dass die Dachformen
vorgeschrieben sind und äusserlich im Wesentlichen nicht verändert
werden dürfen. Schon allein der nachträgliche Einbau von Dachfenstern
oder Lukarnen ist dann eventuell eingeschränkt. Im Sinne einer ersten
Auslegeordnung ist auch zu klären, ob es sich um ein Schutzobjekt
handelt. Dabei sind noch unterschiedliche Kategorien zu berücksichtigen,
die je nach Einzelfall und je nach Ort oder Stadt unterschiedlich heissen (Inventar schützenswerter Bauten, inventarisierte Objekte et cetera).
Weiter
spielen für die Rahmenbedingungen immer die detaillierten
Bauvorschriften für die jeweilige Zone bzw. das Baureglement der
jeweiligen Gemeinde eine Rolle. Relevante Themen sind die zulässige
Ausnützung, die dann je nach Kanton und je nach Reglement anders
definiert und berechnet wird (Verhältnis von Grundstückfläche zu
genutzter Wohnfläche, Baumasseziffer et cetera). Auch die Anzahl erlaubter
Vollgeschosse, Grenzabstände, Geschosszahl im Allgemeinen, zulässige
Gebäudehöhen et cetera geben klar vor, was baurechtlich möglich ist und was
nicht. Denkbar wäre auch, dass das Baureglement weitere Details regelt,
die für die Gestaltung der Dächer, der Dachformen, Dachfenster etc.
wichtig sind.
«Wir sind es als Architekten gewohnt, mit den Behörden
und auch mit der Denkmalpflege und dem Heimatschutz umzugehen», sagt
der Zürcher Architekt Claudio Herzig. Er hat als Berufsmann schon
unzählige solcher Projekte realisiert und war selbst auch Bauherr einer
anspruchsvollen Sanierung mit einem Dachstockausbau in einer
Zürichseegemeinde: Hier haben er und seine Frau Véronique ein
300-jähriges Wohnhaus stilvoll umgebaut und mit neuem Leben gefüllt
(siehe Magazin Häuser Modernisieren, 1/2020).
Gegenüber Behörden und
Heimatschutz habe es sich bewährt, diese Stellen miteinzubeziehen und
Vertrauen aufzubauen. «Irgendwann hat sich unsere Begeisterung
übertragen, nachdem eine anfängliche Vorsicht abgebaut werden konnte»,
so Architekt Claudio Herzig. Nebenbei gesagt ist darauf hinzuweisen,
dass Denkmalschutz nicht pauschal mit Einschränkungen und strengen
Auflagen gleichzusetzen ist. Der Ausbau eines Dachs in einem
Schutzobjekt kann auch mit gewissen Vorzügen verbunden sein, etwa mit
finanziellen Beiträgen, Steuererleichterungen und auch mit Ausnahmen,
was die technischen Auflagen betrifft (Dämmung von Bauteilen et cetera).
Vorsicht vor Fehleinschätzungen
«Die baurechtlichen Rahmenbedingungen und schon allein die korrekte Auslegung des Begriffs Vollgeschoss sind für Laien aber nicht leicht zu interpretieren», sagt dazu der Ostschweizer Architekt Jüge Rüdlinger vom Büro Skizzenrolle. Die meisten Fachleute empfehlen, sich an geschulte Fachpersonen oder sich an die zuständige Baubehörde zu wenden. «Auskünfte seitens des Verkäufers oder allgemein aus der Immobilienbranche könnten heikel sein», so Jüge Rüdlinger. Denn letztlich ist nichts anderes massgeblich als eben der Buchstabe nach dem «Baugesetz» oder dem Baureglement. So stellt es eine zusätzliche Hürde dar, dass die korrekte Auslegung für ein Projekt auch wieder Fachkenntnisse und Erfahrung voraussetzt. Selbst Fachleute müssen sich in die Materie vertiefen und können die Grundsatzfrage nach einem Dachausbau oft nicht aus dem Stegreif beantworten. Selbst die Hoffnung auf etwas Goodwill seitens der Behörde oder mündliche Zusagen für Bewilligungen und «Ausnahmen» könnten Bauherrschaften in falscher Sicherheit wiegen. Denn wie immer bei gesetzlich geregelten Themen und Bauvorschriften gilt der einfache Grundsatz: Die öffentlich-rechtlichen Bestimmungen müssen zwingend umgesetzt werden. Dies ergibt sich schon allein dadurch, dass bauen und umbauen per se öffentlich ist und andere tangiert – etwa Nachbarn, andere Behörden, den Denkmalschutz, die Feuerpolizei, die Gebäudeversicherung oder bestimmte Interessengruppen. Falls aus irgendeinem Grund weitere Abklärungen, juristische Gutachten oder Einsprachen für das Projekt relevant werden, geht es im Kern um die Baugesetze. Wer also vor dem inneren Auge schon das schön ausgebaute Dachgeschoss vor sich sieht, könnte eine böse Überraschung erleben, wenn zum Beispiel Nachbarn Einsprache gegen das Baugesuch erheben. Legitime oder weniger legitime Einsprachen wird der Bauherr nur dann abwenden können, wenn es materiell gar keine Einwände gegen den Dachausbau gibt.
Dachausbau: Relevante Themen
Die Bauvorschriften, die Energie- und Umweltschutzgesetze et cetera regeln bekanntlich viele Details, die nicht zu unterschätzen sind. Bei Altbauten und insbesondere beim Ausbau von Dächern spielt fast immer noch der Brandschutz mit hinein (Verwendung sicherer Materialien, nachträgliche Brandwände, Verstärkung von Türen, Einteilung in Brandabschnitte et cetera). Hinzu kommen noch viele weitere Stichworte wie Versorgung mit Tageslicht, lichte Höhe von Räumen, Vorgaben für die Ausstattung von Wohn- und Arbeitsräumen, Korridor- und Treppenbreiten, hindernisfreie Bauweise, Schutz vor Starkregen, Entwässerung, Blitz und Sturm etc. Handelt es sich um einen alten Estrich mit viel Abstellraum und wenig Tageslicht, wird sich der Architekt gründlich damit auseinandersetzen müssen. Meist sind gewisse Mindestvorgaben bei der Raumhöhe und der Versorgung mit Tageslicht zu beachten.
Im Zug der Digitalisierung lassen sich zwar viele Basics über die
Webseiten der Gemeinde und über die Geoportale der Kantone in Erfahrung
bringen (siehe Box). Das gilt etwa für Originaldokumente wie Baugesetze
und Baureglements oder die einfache Auskunft, um welche Zone es sich
überhaupt handelt. «Nebst dem Baureglement einer Gemeinde ist es
denkbar, dass noch Sondernutzungspläne oder weitere übergeordnete
Regelungen zu beachten sind», betont Architekt Jüge Rüdlinger. Wer
Erfahrung hat und sich mit dem öffentlichen Baurecht auskennt, weiss
auch: Die Rahmenbedingungen unterliegen einem steten Wandel. So haben
zum Beispiel manche Gemeinden ihre eigenen Bau- und Zonenordnungen noch
nicht den aktuellen kantonalen Gesetzen angepasst (Raumplanung,
Richtpläne, Zonenordnungen). Weiter ist es auch denkbar, dass
historische Gebäude aus einem kantonalen Schutzinventar entlassen werden
oder neu unter Schutz gestellt werden. Auch wer erst relativ vage davon
träumt, eine Altliegenschaft zu kaufen und selbst umzubauen, muss
diesen Rahmenbedingungen Rechnung tragen. Philipp Hostettler von der IG
Altbau sagt dazu: «Für Liebhaber von Altbauten wird es sich in den
meisten Fällen lohnen, eine Impulsberatung bzw. eine erste baurechtliche
Auslegeordnung bei einer erfahrenen Fachperson in Auftrag zu geben.»
Ein Architekt oder eine Architektin, die im Umbau mit Altbauten versiert
ist, wird schon mit relativ wenig Aufwand einige Kernfragen beantworten
können: Welches Raumprogramm und welche baulichen Änderungen wären
sinnvoll oder sogar zwingend nötig? Wie lässt sich der baurechtliche
Spielraum ausloten? Wäre ein Dachausbau eine realistische Option? Mit
welchen Kosten wäre zu rechnen?
Behörde: «Vorprojektpläne erwünscht»
Schliesslich
ist zu ergänzen, dass die meisten zuständigen Behörden und Bauämter
Auskünfte erteilen (in der Regel aber nur bei einem Interessenachweis
als Eigentümer oder Architekt). Die praktische Erfahrung lehrt: Auf vage
Fragen werden die Bauherrschaften in den meisten Fällen auch vage
Antworten bekommen. Lucas Bally vom Hochbaudepartement der Stadt Zürich
stellt dazu klar: «Fragen müssen anhand von massstäblichen
Vorprojektplänen gestellt werden.» Wer diese Pläne erarbeitet habe, sei
nicht entscheidend (ein Architekt oder der Bauherr selbst). «Wichtig ist
aber, dass sie eine entsprechende Qualität aufweisen und massstäblich
sind», so der Vertreter der Behörde. Fazit: Die meisten Behörden haben
vor allem das Angebot digitaler Informationen stark ausgebaut – oft bis
auf Stufe einzelner Grundstücke. Doch auch dabei gilt, dass die korrekte
Interpretation ein gewisses Grundverständnis zur Bau- und Zonenordnung
voraussetzt. Hinzu kommt natürlich ein Talent, Pläne zu interpretieren
und sich räumlich vorstellen zu können. So erweist sich in der Praxis
ein vermeintlich einfacher Dachausbau schnell einmal als komplexe
Planungs- und Bauaufgabe.
Pläne und Geoportale
Die meisten Kantone und Gemeinden haben öffentliche zugängliche Planunterlagen, oft bis auf Stufe des Katasterplans.
Geoportale der Kantone: www.kkgeo.ch/geodaten/kantonale_geoportale
GIS Browser Zürich: www.maps.zh.ch
Geoportal Kanton Bern: www.geo.apps.be.ch
Kanton Luzern: www.geoportal.lu.ch
Text: Jürg Zulliger
aus: Häuser modernisieren, Ausgabe 2/21